1. Ankunft in Mwanza im Dezember 1999

8. Februar 2009

Impressionen aus Mwanza

Nun sitze ich schon seit 30 Stunden im Bus. Meine Blicke kreisen umher, die Leute um mich herum schlafen oder sehen zum Fenster hinaus - eigentlich sind wir alle schon erschöpft. Wenn ich zurückblicke: Gestern morgen fuhr ich um 6 Uhr in Dar es Salaam, der inoffiziellen Hauptstadt Tanzanias, los. Es ging den ganzen Tag durch die brütende Hitze, ein Zwischenstop in Arusha, vorbei am Kilimanjaro, dem Mt. Meru, über die kenianische Grenze bis nach Nairobi und wieder zurück nach Tanzania. Die Landschaft ist beeindruckend, eigentlich ist es zu schwer, um es in Worte zu fassen. Neben mir ein Baby auf dem Schoße seiner Mutter; auch ihm wird es langsam zu viel. Die Reifenpanne in Kenia kostete uns auch einige Stunden. Hoffentlich sind wir bald am Ziel. Das Deo hat schon jegliche Wirkung verloren. Öffnet man jedoch das Fenster, kommen einem die Staubkörner entgegen.

Auf den ersten Schildern sehe ich, dass wir uns schon in Mwanza befinden, also kann es doch gar nicht mehr so lange dauern. Aber wer rechnet schon damit, dass die Straßen immer schlechter werden und wir von unserem Ziel noch 3 Stunden entfernt sind? Der Busfahrer nimmt kaum Rücksicht auf die Straßen, die zum Großteil aus Löchern bestehen. Die Knie schmerzen, unzählige blaue Flecken bilden sich, aber dann endlich, nach 33 Stunden Busfahrt, das große Aufatmen.

Wir fahren in den Busbahnhof der Stadt Mwanza ein. Mit ihren 500.000 Einwohnern ist Mwanza die zweitgrößte Stadt Tanzanias. Aber jetzt nur keine Müdigkeit vortäuschen und einen klaren Kopf behalten. Menschenmengen drängen sich um den Bus, der sehnsüchtig aus Dar es Salaam erwartet wurde. Man hat Probleme, aus dem Bus auszusteigen, da man von allen Seiten ein Taxi angeboten bekommt. Hoffentlich habe ich bald mein gesamtes Gepäck, ohne dass ich etwas von übereifrigen Männern aus der Hand gerissen bekomme, die sich etwas dazu verdienen wollen. Schon bin ich umringt von Frauen, die ihre Mangos und Bananen loswerden wollen, die sie schon einen halben Tag auf ihren Köpfen tragen. Dennoch ziehe ich es nach langem Handeln vor, ein Taxi zu nehmen, das mich durch die Straßen Mwanzas chauffieren soll, in Richtung Montessori-Training-Centre. Die Fahrt dauert um einiges länger als ich dachte. Gemütlich fahren wir im 1. Gang um jedes einzelne Loch herum, manchmal schafft es der Fahrer in den 2. Gang. Aber da muss man auch schon wieder dem Gegenverkehr ausweichen und ich frage mich, ob in diesem Land wirklich Linksverkehr herrscht? Aber schnell lerne ich, dass das Autofahren nur aus einem Slalom um die Schlaglöcher besteht. Unerwartet kommen aus einer Seitenstraße Männer eingebogen, die meterlange Holzbalken auf einem ziemlich heruntergekommenen Wagen hinter sich herziehen.

Endlich endet die Taxifahrt auf dem Kawekamo-Hügel in Montessori-Centre, wo ich nach einer langersehnten Dusche auf einem Stein vor dem Haus Platz nehme und meine ersten Eindrücke verarbeiten kann. - Der Blick hinunter auf die Stadt ist phantastisch, mir zu Füßen liegt der Viktoriasee, umgeben von seiner wunderschönen felsigen Landschaft. Man könnte fast meinen, es hätte jemand mit den gewaltigen Felsen gespielt und sie überall verstreut in der grünen Natur abgestellt. Weiter entfernt entdecke ich im Wasser herausragend den Bismarck-Felsen, der in seiner einmaligen Schönheit den Hafen von Mwanza ziert.

Langsam beginnt es zu dämmern. Die Kinder, die eben noch schreiend hinter ihrem aus Stofffetzen gebastelten Fußball herliefen, werden nun ins Haus gerufen, es ist Abendessenszeit. Ehe ich mich versehen kann, ist es auch schon stockdunkel und man sieht im Tal in jedem Haus Kerzen aufflackern, da es heute keinen Strom gibt. Auch das ist in dieser Stadt völlig normal, dass Strom gespart werden muss und so sitze ich völlig im Dunkeln und lausche einigen Trommeltönen, die aus allen Himmelsrichtungen auf unseren Hügel schallen. Nun wird es Zeit, mich zur Ruhe zu begeben, um morgen die Stadt Mwanza am Tage kennenzulernen.

Nach einer kurzen Nacht werden ich geweckt, um mit Lehrerin Odilia in die Stadt zu fahren. Hinab durch Gebüsch und vorbei an vielen Hütten geht es zur Hauptstraße, wo wir kurze Zeit später eng gedrängt in einem Dalla-Dalla, einem Kleinbus stehen. Das erste Mal war noch ein kurzes Stoßgebet nötig, ich konnte mir nicht vorstellen, jemals mit diesem alten, überfüllten Kleinbus irgendwo anzukommen.

Froh war ich, als die Fahrt zu Ende war und ich aussteigen durfte. Auf dem Weg Richtung Markt erkundigte ich mich nach der Bedeutung des Wortes "Mzungu" ( = Weiße), dass ich ständig um mich herum wahrnahm. Ich erfuhr, dass ich wohl damit gemeint bin und freute mich über die Offenheit der Menschen, die mich freundlich begüßten und mit mir reden wollten. Schnell merkte ich aber, dass ich auf diese Art und Weise kaum weiterkomme, wenn ich alle paar Meter stehenbleibe, um mich zu unterhalten. Eine ganze Schar von Straßenkindern folgte mir auf Schritt und Tritt, alle wollten etwas zu essen haben. Was ist das für ein Bild einer Stadt? Es leben 500 Straßenkinder in Dreck und Staub und müssen ums Überleben betteln! - Viele Menschen laufen geschäftig an ihnen vorbei, schließlich hat auch jeder seine eigenen Probleme! Nach dem Marktbesuch geht mein Weg weiter durch Nebenstraßen, bis ich plötzlich an einem verdreckten Bach auf Menschen stoße, die dort in engsten plastikumwickelten Bretterbehausungen leben. Ich wundere mich. Dann erfahre ich, dass sie alle Lepra haben und hier im Ghetto leben. Sie versuchen ihre Behausungen möglichst wasserdicht zu gestalten, da bald die große Regenzeit einsetzt und fast allen Menschen das Dach über dem Kopf wegschwimmt. Ich bin sprachlos. - Gleich ein paar Schritte weiter befindet sich der Maasai-Markt. Ich schlendere entlang und beobachte die Maasais, die sich in Mwanza niedergelassen haben, wie sie versuchen, ihre bunten Perlenketten zu verkaufen, um sich Geld zu verdienen. Das alles stimmt mich sehr nachdenklich und ich mache mich langsam auf den Heimweg. Der Weg führt mich vorbei an einigen Reisebüros, die verschiedene Safaris in die nahegelegene Serengeti anbieten. Vorbei an Männern, die mit ihren Nähmaschinen am Straßenrand sitzen und die farbenfrohen tanzanischen Stoffe zu tollen Kostümen verarbeiten. Ich erreiche wieder die Dalla- Dalla-Station und fahre, von Menschenmassen umringt, wieder in mein neues Zuhause auf den Kawekamo-Hügel. Dort lasse ich die vielen Eindrücke des Tages an mir vorüberziehen und langsam bricht die Dunkelheit wieder über der Stadt Mwanza ein. Wieder sitze ich auf meinem Stein, sehe auf den Viktoriasee hinunter, während die Sonne am Horizont untergeht und lausche den ergreifenden Trommelklängen.

Noch an meinem ersten Tag in Mwanza ging ich zu dem Straßenkinderprojekt "Kuleana" ( Kisuaheli: sich gegenseitig helfen), um mich vorzustellen. Ich hatte mich schon aus Deutschland für ein Praktikum beworben. Die Freude war groß und ich sofort herzlich willkommen und wurde über Deutschland, meine Arbeit, Familie etc. ausgefragt. Jeder wollte so schnell wie möglich alles über mich und meine Heimat erfahren. Währenddessen wurde ich durch das Centre geführt und lernte die ersten Straßenkinder, die dort leben, kennen. Anfangs war ich etwas schockiert, als ich sah, dass ca. 80 Kinder in einem Raum ohne Fenster leben und nachts auf einer, aus Palmenwedeln geflochtenen Matte schlafen. In diesem Raum gab es eine Wand voller Schließfächer, in dem jedes Kind seine Kleider oder private Sachen aufheben konnte. Weiter führte mich der Rundgang in die Küche und ich sollte sofort etwas von dem leckeren "Ugali" ( Maisbrei) probieren, jedoch verging mir schnell der Appetit, als ich sah, in welch "dunklen Loch" das Essen in einem riesigen Blechtopf auf einer Feuerstelle zubereitet wurde. Wieder im Garten von Kuleana wurde ich über die Arbeit und die Ziele informiert, die mich schon wirklich faszinierten. Überall in der ganzen Stadt Mwanza findet man an Hauswänden oder Mauern Bilder von Kuleana, mit dementsprechenden Rechten eines Kindes, z.B. dass jedes Kind das Recht auf eine Bildung hat, oder nicht geschlagen werden soll. Man erklärte mir, dass in dem Projekt Streetworker eingestellt sind, die die Kinder von der Straße holen. Das nächste Ziel ist jedoch die Reintegration zurück in die Familie, bzw. Ursachenforschung zu betreiben, warum das Kind überhaupt auf der Straße war. Das war für die nächsten Wochen auch mein Aufgabengebiet, zusammen mit den Streetworkern das Zuhause der Kinder ausfindig zu machen, dann mit der Familie zu reden und wieder dort einzugliedern, oder nach anderen Alternativen zu suchen. Die Erfahrungen, die ich machte, waren sehr interessant, oftmals wussten die Eltern gar nicht, dass ihr Kind weggelaufen ist oder auf der Straße war, sie dachten, es wäre bei der Tante o.ä., da die Kinder oftmals nicht bei ihren leiblichen Eltern wohnen, wenn diese überhaupt existieren bzw. bekannt sind. Bei einer Großzahl der "Fälle" war die Familie glücklich, das Kind zu sehen, bzw. wollten, dass es zu Hause bleibt . Leider gab es auch Familien, die ihr Kind nicht zurück wollten, oder in denen es gravierende Alkoholprobleme gab und ich mir sicher war, dass das Kind sowieso nur geschlagen wird.

Leider machte ich die bittere Erfahrung, dass die Kinder nicht nur von ihren Eltern geschlagen werden, sondern auch von der Polizei. So z.B. Yussuf, um den ich mich im Bugando-Hospital kümmern sollte. Zuerst konnte ich es kaum fassen. als Streetworker Joseph auf mich zukam und meinte, wir müssen uns um einen Jungen im Krankenhaus kümmern, weil er von der Polizei mit Stöcken zugerichtet wurde. Ich bombardierte ihn die gesamte Fahrt über nur mit fassungslosen Fragen, bis wir auf der "Würzburg Road" abbogen, den Bugando-Hill hinauf zum gleichnamigen Krankenhaus. Vor mir stand nun ein breit gezogener Betonklotz in nicht sehr einladendem Grau. Vorbei an einer Kontrolle ging es durch den Haupteingang in das Innere, wo ich schon mitten in einer Pfütze stand. Natürlich befanden wir uns gerade in der Regenzeit und nicht überall in diesem Krankenhaus gibt es dichte Fenster. Gut, also wateten wir durch die dreckigen Pfützen, in denen sich einige Moskitos tummelten, vorbei an vielen wartenden Patienten. Nach mehrmaligem Fragen fanden wir endlich eine Schwester, der unser Yussuf ein Begriff war und sie brachte uns in sein Zimmer, bzw. auf den Balkon, der gerade alle Betten belegt waren und der Boden übersät war mit notdürftigen Matratzen, auf denen manchmal auch zwei Patienten gelagert wurden. Wir fanden Yussuf in einer Ecke kauernd auf dem Balkon. Als er uns sah, versuchte er sich mit einem Holzstock zu erheben, hatte aber nicht genug Kraft, da er frisch operiert war, mit seinem Loch im Bauch und einem aufgeschlitzten Fuß. Ein gequältes Lächeln brachte er über seine Lippen. Fassungslos drehte ich mich um, versuchte mich zu beherrschen, hatte Probleme mir vorzustellen, was dieser Junge wohl schon alles in seiner Vergangenheit erlebt haben wird. Wie wird wohl seine Zukunft aussehen? Schnell wurde ich aufgeklärt, dass die Kinder immer wieder verdächtigt werden, zu stehlen etc. und die Polizei nach Einbruch der Dunkelheit mit ihren eigenen Methoden vorgeht. Das sei aber völlig normal wurde sofort dazu gesagt und man hat sowieso keine Chance, etwas zu unternehmen. Mit derartigen Aussagen musste ich mich vorerst zufrieden geben, und wir gingen zurück über die übelriechenden Krankenhausgänge, die meine derzeitige Stimmung verstärkten.

Steffi Beck, Würzburg